Veloreise entlang der Rhone-Route,Text von Monika Neidhart
Auf rund 350 km führt die Rhone-Route vom ewigen Eis, durch Rebhänge, enge Dörfer und Städte nach Genf. Herzliche Begegnungen inklusive.
7°C. Anhaltender Regen. Der Beginn der sechstägigen Velotour habe ich mir wahrlich anders vorgestellt. Nichtsdestotrotz besteigen wir unsere Velos. Belohnt werden wir mit einer herzlichen Begegnung in Ernen, die uns erst dieses Wetter beschert.
Während wir uns im Tearoom der Bäckerei mit einer deftigen Gommer Cholera stärken, trocknen unsere Kleider in der Backstube. Die Bäckersfrau, die mir sogar Trainerhosen organisiert hätte, meint melancholisch: "Nun dient der Ofen noch einmal. Ab morgen wird er kalt bleiben, weil wir keine Nachfolger gefunden haben".
Grauer Start in Oberwald
Am nächsten Tag sieht alles ganz anders aus. Vom Frühstücksraum auf der Riederalp sehe ich, wie die schneebedeckten Bergflanken im Morgenlicht erwachen. Mein Blick schweift bis zum Matterhorn.
Klar und blau zeichnet sich der neue Tag ab. Nach dem Regentag nehme ich die Umgebung heute wieder wahr. Es kommt mir vor, als wären Nässe und Kälte "Scheuklappen" gewesen.
Durch das Rhonetal
Ab Brig öffnet sich das Tal. Unser Weg führt auf gut signalisierten Velowegen und ruhigen Nebenstrassen mal entlang der milchig weissen Rhone, am Bahngeleise nach und durch Dörfer. Die Herbstfarben leuchten im Sonnenlicht.
Doch was ich nach Niedergampel an der rechten, felsigen Flanke sehe, habe ich in dieser Ausprägung noch nie gesehen: Der ganze Hang leuchtet scharlachrot.
Stockalperschloss in Brig
Ein Maler sitzt im Gras, neben ihm die ganze Farbpalette von Gelb über Rot bis grün. Im breiten Walliserdeutsch klärt er uns auf: "Perückensträucher sind in der Schweiz selten. Hier in den trockenen, sonnenbeschienenen, felsigen Hängen finden sie ihre idealen Lebensbedingungen".
Bei der Weiterfahrt muss ich immer wieder zurück auf dieses Naturschauspiel blicken. Doch schon bald kommt der nächste Höhepunkt. Auch wenn der Aufstieg nach Leuk ruppig ist, das Städtchen und die Aussicht lohnen es allemal. Blicke ich Richtung Genfersee, schieben sich die Berge rechts und links der Rhone wie ineinander. Davor liegt das breite Rhonetal und vor uns gelblich grüne Rebhänge.
Städtchen Leuk
Die blauen Trauben hängen gross und schwer an den Stöcken. Sie sehen verführerisch aus. In Salgesch riecht es nach gepressten Trauben und Alkohol. In der Gartenwirtschaft zeuerln Appenzeller in ihren schmucken Trachten während daneben eine Frau ein Buch mit dem Titel "Emercency Sex" liest. Wir müssen über die Kontraste schmunzeln; solche Begegnungen bieten sich einem nur, wenn man hinaus geht.
Weinberge in Salgesch
In Siders oder eben Sierre ist alles französisch angeschrieben - wir haben die Sprachgrenze überfahren. Eine kleine Ahnung, wie lästig der Wind im Rhonetal für Velofahrer sein kann, bekommen wir auf dem Damm Richtung Saillon zu spüren.
Die Abendstimmung in rot und blau um die Bischofsburg in Sitten sieht im Rückblick zwar wunderschön aus. Doch die Kilometer wollen nicht enden...
Vorbei an Saillon
Am frühen Morgen ist der Veloweg an der Rhone entlang noch im Schatten. So fahren wir durch enge Strassen der Winzerdörfer und finden uns mitten im Marronimarkt von Fully. Drei stramme Herren drehen je eine grosse Trommel mit Marroni über einem Holzfeuer für das hier bekannte "Brisolée". Stolz geben sie in Französisch Auskunft: "Unser Kastanienwald umfasst rund 1000 natürlich gewachsene Bäume".
Unser nächster Halt ist Martigny am Rhoneknie. Im Amphitheater erschrecke ich fast über meine Stimme, die in der gut erhaltenen Arena laut erklingt. Nur wenige Schritte daneben die Fondation Gianadda. Bereits die Skulptur von Rodin beim Eingang verspricht vieles. Ich verschiebe den Besuch auf ein nächstes Mal, der Weg bis Montreux ist noch weit.
Ausblick auf Martigny
Nach St. Maurice weitet sich die Landschaft, intensive Obstanlagen und Industrie prägen das Bild. Wir wählen den Umweg über Aigle und durch langgezogene, blumengeschmückte Weindörfer in den Rebhängen.
Bei Yvorne ist die Traubenlese im vollen Gange - trotz Sonntag. Männer springen fast schon mit den vollen" Chratten" mit Chasselat-Trauben zum Lastwagen am Rande des Rebberges.
Schloss von Aigle
Der Besitzer überwacht das Geschehen. Angesprochen auf den Ertrag meint er: "Es gibt ordentlich. Die Trauben sind süss", und lässt mir vom Arbeiter eine grosse Traube geben.
Ja, sie sind süss. Doch in dieser Umgebung, mitten in den Rebbergen, den herbstlichen Farben und dem Herbstlicht würden mir wohl auch saure munden.
Naturidylle
Bei Villeneuve erblicken wir zum ersten Mal den Genfersee. Das Ziel Genf liegt hinter der Seekrümmung verborgen. Was wir bisher ohne grosse Mühen mit dem Velo befahren und entdeckt haben, war eindrücklich.
Doch es gibt auf der Rhoneroute noch eine Steigerung. Kurz nach Vevey, zwischen St. Saphorin und Epesses radeln wir mitten durch die Rebberge des Lavaux!
Lavaux
Natürlich ist diese Region auch faszinierend aus dem Zugsfenster von Bern Richtung Lausanne. Doch jetzt mitten drin zu sein, bekomme ich erst ein Gefühl für diesen steilen, terrassierten Hang.
Dafür, was es wohl heisst, auf diesem Gefälle Reben anzubauen bei der Fahrt zwischen den hohen, senkrechten Stützmauern der Terrassenstufen und dem steilen Auf und Ab der Strasse.
Montreux am Genfersee
Ich kann diese Fülle fast nicht aufnehmen. Ich bin fasziniert von den Linien der Rebstöcke, den Herbstfarben, dem Blick auf den weiten See weit unten. Und über uns und unter uns die Zugsstrecke, als wären wir in einer Modelleisenbahnanlage.
In Epesses ist es Zeit, die Traube nicht nur als Frucht zu geniessen, sondern auch als Wein. Dazu ein Fisch aus dem Genfersee, Waadtländer Saucisson oder einen panierten Tomme vaudoise - "savoir vivre" würden die Franzosen dazu sagen.
Epesses
Nach Lausanne ist das Ufer flach und dicht besiedelt. Städte mit alten Burgen und Rundtürmen reihen sich aneinander. Ackerbau breitet sich im Hinterland aus. Die Rebberge der La Côte sind an die flacheren Hänge zurück versetzt.
Nach Morges biegen wir in diese Landschaft ein. Das Städtchen Aubonne liegt auf einer Anhöhe; der Weitblick bis in die Sayover Alpen lohnt der Aufstieg.
Nyon
Auch die rauschende Abfahrt Richtung Féchy. Je näher wir Genf kommen, umso höher scheinen uns die Tore und Umrandungen von Häusern. Verschiedene Sprachen und Menschen mischen sich immer mehr ins Strassenbild.
Mit einer Fülle an Eindrücken und Begegnungen blicke ich vom Turm der Kathedrale von Genf zum Jet d'eau, über die Weite des Genfersees, zu den Rebhängen, auf die geradelten Kilometer zurück.
Ein schöner Abschluss in Genf
Und ich träume vom nächsten Sommer und den Anfang der Rhoneroute am Furkapass, die Blicke auf das ewige Eis des Rhonegletschers, die uns der frühe Wintereinbruch verwehrt hat.
Ich versuche all die Sehenswürdigkeiten der letzten Tage Revue passieren zu lassen. Es sind so viele.
Jet d'Eau