Zum Inhalt
Zur Fusszeile
Grüner Fluss Doubs

Wandern auf dem Trans Swiss Trail

Von Porrentruy nach Neuchâtel

Im grünen Rausch zwischen Amazonas, Dschungel und Prärie

115 Kilometer Marsch und 6 Tage Abenteuer in der wilden Ecke der Schweiz: Der Trans Swiss Trail von Porrentruy nach Neuchâtel bezirzte Franziska Hidber (Text) und Indra Joshi (Fotos) mit verwunschenen Wäldern, filmreifen Szenen, kulinarischen Höhenflügen und witzigen Einheimischen.

Wandern auf dem Trans Swiss Trail
Ein Panoramabild das eine steinerene Bogenbrücke zu Saint Ursanne zeigt.

Tag 1: Von Porrentruy nach St. Ursanne

Über den Jurakamm in die Falte

Es gibt ein Problem: Wir kommen und kommen nicht voran. Zuerst verwickelt uns die Dame von der Boulangerie in eine Plauderei, dann der SBB-Beamte bei der Gepäckaufgabe: «Alors, Mesdames, wollen Sie Ihr Gepäck nicht über die Jurakette ziehen? Sie wissen schon, dass St.Ursanne auf der anderen Seite liegt?», fragt er und lacht dröhnend.

Und stadtauswärts können wir dem Botanischen Garten nicht widerstehen. Der Gärtner nickt uns zu: «Bonjour et bienvenu.» Sind hier alle so freundlich?, fragen wir uns verblüfft. Um es vorwegzunehmen: Ja, alle.

 

Porrentruy Botanischer Garten

Eine Libelle sitzt im botanischen Garten.

Fast scheint es, als wolle Porrentruy uns nicht ziehen lassen. Kein Wunder, dem Städtchen mit dem mittelalterlichen Schloss sind wir von der ersten Minute an erlegen. Am Vorabend streiften wir durch die Gassen, bestaunten die Bürgerhäuser in der Altstadt, das beleuchtete Rathaus, die Kunstwerke von Brunnen, das Kloster,  die «Porte de France», den Rest der Stadtbefestigung – auf Schritt und Tritt ist der Geist und Reichtum der Fürstäbte von Basel spürbar, die hier rund 200 Jahre wirkten. Das rot-weisse Basler Wappen auf dem Schlossturm zeugt heute noch davon.

 

Stadt Porrentruy

Das Städtchen Porrentruy mit seinem mittelalterlichen Schloss.

Die Farben sind selbst von hier leicht zu erkennen. Wir stehen auf der Anhöhe oberhalb der zweitgrössten Stadt im Kanton Jura, uns erwarten heute 17 Kilometer, 600 Höhenmeter hinauf, 600 hinunter. Zügig schreiten wir dem Waldrand entlang, an Kornfeldern mit leuchtendem roten Mohn vorbei, landen plötzlich im Wald auf einem Spielplatz, schaukeln wie kleine Kinder und vergessen die Zeit.

Danach dauert es eine Weile, bis wir in diesem Niemandsland wieder auf den Trans Swiss Trail finden – der hellgrüne Kleber mit der weissen Zwei auf dem Wanderwegweiser soll uns bis nach Neuenburg begleiten. Der Aufstieg ist zäh, zum Glück führt der grösste Teil durch den bewaldeten Jurakamm. Wir begegnen zwei weiteren Wanderern, einem Biker, einem Jogger, alle rufen uns ein fröhliches Bonjour zu.

 

Weizenfeld mit Klatschmohn

Weizenfeld mit Klatschmohn.

Auf der Krete werfen wir einen letzten Blick auf Porrentruy: Au revoir! Nun geht es auf der anderen Seite hinunter in den Spalt, den der Doubs in den Felsen gezogen hat. Wir queren kleine Bäche, mit Moos bewachsene Baumstämme, passieren Kuhweiden, deren Gatter es sportlich zu überwinden gilt. Im Weiler Seleute zerstört das Schild «Fermé» unsere Hoffnung auf einen kühlen Weissen – das heisst, uns steht eine weitere Stunde Abstieg mit trockenem Gaumen bevor.

Schon bald sind die ersten Hausdächer des mittelalterlichen Juwels St. Ursanne am Doubs zu sehen. Auf dem Dorfplatz hat jemand die Zeit angehalten: Leute sitzen an Tischchen und plaudern, der Zirkus «Chnopf» schlägt sein Zelt auf und Madame vom Kiosk «Le Clip» schmeisst extra für uns ihre Softeismaschine an: «Venez, Mesdames!» Später geniessen wir im Hotel de la Couronne Neuenburger Rosé (lieblich), Gazpacho (erfrischend) und unsere 30 400 Schritte (viele).

 

Wegweister mit Silhouette

Auf der Krete.

Tag 2: St. Ursanne - Soubey

Schönheiten am Amazonas

Der Auf- und Abstieg steckt uns noch in den Knochen – gut nur, geht es heute praktisch gerade aus, immer dem Doubs entlang.

Mit seiner Breite und der flaschengrünen Farbe ähnelt er dem Amazonas, und selbst die Tierwelt hat etwas Dschungelhaftes: türkise Libellen führen ihre Luftakrobatik vor, auf einem Stein steht ein junger Graureiher und lässt sich die Fische schlaraffenlandmässig in den Schnabel fliegen. Mittags breiten wir unser Tuch am Ufer aus und gönnen uns eine Siest

 

Siesta am Doubs

Siesta am Ufer des Doubs.

Kurz vor Soubey schickt uns der Wegweiser auf den Asphalt, die Sonne brennt uns auf den Nacken, und als wir sehnsüchtig an das Softeis von «Madame Clip» zurückdenken, stossen wir auf einen Bauernhof mit Hofladen.

Die pensionierte Bäuerin empfiehlt uns das selbstgemachte Glacé und wechselt dabei vom Französischen ins Berndeutsche und zurück. Wir lachen über den schwarzen «Güggu», die jungen Enten und den frechen Kater und schultern die Rucksäcke nur ungern.

 

Alte Frau mit Katze

Einfach sympathisch diese Jurassier:innen.

Das Bedauern hält nicht lange an, denn Soubey begrüsst uns mit schmeichelndem Abendlicht, weissen Camarguepferden, einer flatternden Schweizer Fahne an der Brücke und den typischen breiten Jurahäusern – wie Ballenberg, aber echt.

Dazu passt, dass die Gastgeberin im «Du Cerf» unsere Frage nach Wlan harsch mit «Non, ici c’est tout de la nature» beantwortet. Spätestens als sie auf der Terrasse frische eigene Forellen in Butter und Kräuter auftischt, haben wir ihr mehrfach verziehen, schauen auf die glitzernden Sonnensterne im Doubs, die Mähnen der Pferde im Wind und stimmen ihr insgeheim zu: Ici, c’est tout de la nature.

 

Pferde in Abendsonne in Soubey

Soubey im Abendlicht.

Tag 3: Soubey - Saingnelégier

Im Rausch des Jurassicparks

Am Morgen tanzen weisse Nebelschwaden anmutig Ballett über dem Doubs und dem winzigen Dorf, die Pferde sind nur schemenhaft zu erkennen, das Brot ist knusprig und der Patron will wissen, wie denn die Nacht gewesen sei. Himmlisch ruhig, sagen wir. Er nickt zufrieden: «Ici, c’est tout de la nature!"

Vor dem Aufbruch besuchen wir die kleine Dorfkirche aus dem Jahr 1632 mit dem romanischen Turm. Sie steht unter Denkmalschutz – auch wegen des Dachs aus Steinplatten, das nördlich der Alpen einzigartig ist. Die Glasfenster beginnen in einer wahren Farborgie zu strahlen, als die Sonne die Führung im Nebelballett übernimmt. Uns ergeht es wie schon in zuvor Porrentruy und St. Ursanne: Wir wären gerne länger geblieben, zumal wir heute den Doubs verlassen müssen und 800 Höhenmeter bevorstehen.

 

Morgenstimmung in Soubey

Morgenstimmung in Soubey.

Anfangs bleibt der Fluss uns treu und der Weg am Ufer flach. Plötzlich vernehmen wir ein Wiehern: Eine Reitergruppe taucht aus dem Wasser auf – ein Anblick wie aus einem Film. Bei der alten Mühle Jeannott Mulin halten wir Mittagsrast. Der Ort war früher bekannt für seine Forellen. Non, non, sagt die ehemalige Wirtin, die noch immer hier lebt, sie seien jetzt seit 2003 pensioniert. Und dann erlaubt sie uns, in ihrer Laube direkt am Wasser zu picknicken.

 

Ausritt mit Pferden am Doubs

Die Reitgruppe am Fluss.

Nach der Mühle verabschieden wir uns etwas wehmütig vom Schweizer Amazonas und steigen links in die Höhe.

Es geht steil hinauf, doch das merken wir gar nicht. Der  verwunschene samtgrünen Wald zieht uns in den Bann: Baumstämme liegen überall auf dem Boden, dick mit Moos eingekleidet, auf ihnen gedeiht neues Leben. Farne leuchten, riesige Spinnweben hängen zwischen den Ästen, Findlinge in allen Grössen bilden ein kunstvolles Arrangement, plüschige Grüntöne versetzen uns in einen regelrechten Rausch.  In diesem Jurassicpark erklimmen wir Höhenmeter um Höhenmeter und wagen kaum zu sprechen, so märchenhaft wirkt die Szenerie.  

 

Viele verschiedene Pflanzen wachsen in einem Farn- und Mooswald bei Soubey.

Ein Wald wie im Jurassic-Park.

Auf dem Hochplateau der Franches Montagnes holt uns das Tageslicht ungnädig aus der Zauberwelt. Plötzlich sind da weite Wiesen, wir wandern vorbei an einzelnen dunklen Tannen, freundlichen Freiberger Pferden, desinteressierten Kühen, Einfamilienhäusern und hinunter nach Saignelégier.

Nach dem beschaulichen St. Ursanne und dem noch beschaulicheren Soubey erscheint uns das regionale Zentrum wie eine Grossstadt, und der Hotelier witzelt, er komme uns heute Nacht in der Disco abholen, wir sollen ihm einfach sagen, welche von den 1000 wir besuchen möchten.

 

Love Wanderplakette

Nach dem Wald geht es mit Liebe auf eine Hochebene und hinunter nach Saignelégier.

Tag 4: Saignelégier - Mont Soleil

Keine Disco, aber Steinpilze und Windräder

Selbst ohne Disco spüren wir beim Abmarsch noch leichten Muskelkater von gestern, dabei erwartet uns heute mit dem Mont Soleil mitten im Berner Jura mit 600 Höhenmetern schon der nächste Aufstieg.

Im Dörfchen Les Breuleux erblicken wir einen originellen Vorgarten nach dem anderen; verlassen dann aber die Hauptstrasse samt Zivilsation ohne Bedauern. Nun werden die Tannen mächtiger, die Weiden endloser und die Pferde mehr, ohne die saftigen Wiesen wähnten wir uns auf einer Prärie. Am Wegrand entdecken wir Heidel- und Erdbeeren und dicke Steinpilze.

 

Ein grosser prächtiger Steinpilz im Moos am Wegesrand. Im Hintergrund ist das Unterholz der Waldbäume in Mont-Soleil zu sehen.

Dicke Steinpilze säumen den Weg zum Mont Soleil.

Mit der Mittagssonne kommt der Anstieg auf den «Energieberg», wir kommen den gigantischen Windrädern des Mont Soleils immer näher, schnell drehen sich die Propeller im Wind. Auf den Feldern sind die Bauern daran, hektisch das Heu einzubringen; eine leichte Schwüle hängt in der Luft und mahnt kommende Gewitter an.

 

Windräder am Mont Soleil

Windräder am mont Soleil. Es scheint ein Gewitter aufzuziehen.

Unsere Herberge liegt etwas ausserhalb, die letzten Meter ziehen sich wie zäher Kaugummi, aber sie haben sich gelohnt: in der Auberge Chez L’Assesseur fühlen wir uns wie im Paradies, und das liegt nicht nur an der Tête de Moine-Birnen-Quiche oder dem liebevoll eingerichteten ehemaligen Bauernhaus mit viel Holz. Auch der Sonnenuntergang – nomen est omen – macht dem Mont Soleil alle Ehre, scharf heben sich die Konturen der trabenden Pferde und spielenden Fohlen vor dem gelb-orange-pinken Nachthimmel ab.

 

Abendstimmung mit Blick auf Chasseral

Abendstimmung mit Blick auf den Chasseral.

Tag 5: Mont Soleil - Dombresson

1000 Höhenmeter direkt in die Knie

Nur noch fünf Minuten. Nur noch fünf Minuten vom Liegestuhl aus auf den Chasseral schauen, das Gesicht in die Sonne halten, den Geruch der Pferde inhalieren und einen zweiten Café au lait geniessen. Und dann: Allez-hopp! Das Tagesprogramm hat es in sich: Vom Mont Soleil hinunter in die «Kornkammer» des Neuenburgerlandes und dort eine weitere Hügelkette bezwingen.

 

Morgenstimmung mit Ausblick zum Chasseral

Frühstück mit Ausblick zum Chasseral.

Der Abstieg ins ehemalige Uhrmacherstädtchen St. Imier geht direkt in die Knie, gleichzeitig geniessen wir jeden Meter. Hier ist der Wald lichter und südlicher: die Steine sind fast weiss, das Moos weniger dick. Auch St. Imier erinnert an eine Stadt im Süden, nur schon wegen der Häuser mit den grossen Fenstern und auf dem Marktplatz weht ein Hauch von Grandezza.

 

Ausblick über St. Imier

Ausblick auf das Uhrmacherstädtchen St. Imier.

Nach Renan wandern wir auf dem Feldweg dem Wald entgegen und dann aufwärts; und jedes Mal, wenn wir das Plateau erwarten, erscheint die nächste Kurve, die uns höher und höher und höher führt – die Belohnung winkt mit einem Rundblick und einem auffrischenden Windchen.

Von hier aus wirkt der Chasseral winzig klein, und beim Weg durch die Klus und den Abstieg durch den schattigen Wald verlieren wir ihn ganz aus den Augen. «Oui, oui, c’est juste», beruhigt uns eine Spaziergängerin, als uns der Weg verdächtig lange vorkommt. Dombresson will verdient sein!

 

Asphaltweg bei Dombresson

Lange zieht sich der Weg nach Dombresson.

Das weiss auch der Koch des Hôtels de Commune: Er verwöhnt uns mit noch warmen salzigen Waffeln über Fischsuppe, getrockneten Morcheln mit Kartoffelmus bis hin zum Absinth-Parfait und handgemachten Pralinés. Ob es an der grünen Fee im Parfait liegt, dass sich unsere Beinmuskeln trotz der 1000 Höhenmeter Abstieg plötzlich ganz leicht anfühlen?

Tag 6: Dombresson - Neuenburg

Überwachsene Gräber, Donner und Melancholie

«Cappucino? Bah!», ruft unser Küchenchef am nächsten Morgen empört und verdreht theatralisch die Augen. «Ici, on fait Café au lait. Cappuccino, bla, bla, bla. Girls, girls, girls!”, und verschwindet in der Küche, nur um kurz darauf mit zwei Cappuccinos zurückzukommen. Auf dem Milchschaum prangen Herzen aus Schoggipulver. «Pour vous!» Ebenfalls «pour nous» ist die frisch zubereitete Crème brûlée. Schon zum petit déjeuner! Und einmal mehr denken wir: Hier möchten wir bleiben!

 

Frühstück in Dombresson

Das Frühstück in Dombresson wartet mit Crème Brûlée auf.

Draussen geht ein saftiger Platzregen nieder, der erste in dieser Woche. Zwei andere Trans Swiss Trail-Wanderinnen verkünden, dass sie den Bus nach Neuenburg nehmen werden. Zugegeben, es klingt verlockend. Trotzdem montieren wir unbeirrt Regenschutz, Rucksackschutz, Hut – und steigen in den Bus.

Aber nur bis Chézard-St.Martin, wo wir auf den Wanderweg und auf Muskelkraft wechseln, um das Val de Ruz zu durchqueren. Über den ährengelben Feldern dräuen schwarze Wolken. Wir marschieren. In der Ferne blitzt es. Wir marschieren. Donnergrollen. Wir marschieren. Es tröpfelt, es giesst. Irgendwann hört der Regen auf.

 

Birds on a wire

Birds on a wire (in the rain)!

Vor uns liegen die Hügelkette und 500 Höhenmeter. Wir kommen durch stille Dörfchen mit Steinkirchen, und oben am Waldrand in Fenin kurbelt der Friedhof mit den verwachsenen Gräbern unsere Phantasie an. Schon sind wir auf der anderen Seite oberhalb von Neuenburg angelangt, der Wind pfeift durch den Wald, Äste knacken, Tropfen fallen, wir beschleunigen unsere Schritte.

Als wir aus dem Wald treten, wird der See sichtbar, dahinter mehr zu ahnen denn zu sehen die Alpen. Und genau beim Eintreffen in der ersten Altstadtgasse schickt die Sonne ihre Strahlen, Scheinwerfer für den Weg ins Ziel. Geschafft!

 

Ankunft in Neuchâtel. Trans Swiss Trail. Wanderferien mit Eurotrek.

Am Zielort Neuchâtel wird das Wetter wieder freundlicher.

Jetzt gibt es wieder ein Problem: Wir wollen noch gar nicht am Ziel sein! Dieses Ende hier, es kommt zu früh. Es ist, als wolle uns der Trans Swiss Trail nicht loslassen, nicht in dieser Ecke der Schweiz mit den witzigen Menschen. Au revoir, ihr wilden Täler, du grüne Welt, du grüne Fee. Ob sie es war, die uns jeden Tag beflügelt hat? Bien sûr! Wer denn sonst? Ici, c’est tout de la nature!   

 

Unsere Wanderreisen im Jura

Bei Buchung einer Reise erhalten Sie jetzt spezielle Konditionen.